It’s the economy, stupid! – Reloaded.

Muss ein Unternehmen vor allem Gewinn abwerfen? Soll es zuallererst ökologischen Anforderungen gerecht werden? Oder steht die Frage im Vordergrund, welche gesellschaftliche Wirkung unternehmerisches Handeln entfaltet? Der Streit um die Prioritäten ist alt und hat sich auch in konkurrierenden Konzepten von Nachhaltigkeit niedergeschlagen. Ich habe mich bereits in diesem Beitrag damit befasst, ob die ökonomische Perspektive am Ende immer dominieren muss. Und kam zum Schluss: Nein, muss sie nicht. Aber sogar Social Entrepreneurs haben dazu eine andere Meinung, wie z.B. im Interview mit den Gründern von Coffee Circle:

„Als allererstes muss man sich davon lösen, dass die Leute einen kaufen, nur weil man sozial ist. Diese Fehlwahrnehmung sehe ich bei fast allen Social Entrepreneurs. Die Welt schenkt einem nichts. Es ist sehr wichtig, gute Werte und eine sehr gute Story zu haben. Wenn der Sozialaspekt in der Story drin ist, hilft das der Vermarktung. Aber es feit einen nicht davor, dass der Kunde nicht doch zum günstigen Kaffee greift.“

Die Botschaft hierbei ist klar: soziale und ökologische Nachhaltigkeit machen das Geschäftsmodell tragfähiger. Aber das Geschäft läuft nicht deshalb, weil es auf diesen beiden Säulen aufbaut. Sondern weil ein qualitativ hochstehendes Produkt zu einem attraktiven Preis angeboten und gut vermarktet wird. Im Prinzip werden soziale und ökologische Nachhaltigkeit eingesetzt, um die ökonomische Nachhaltigkeit zu verbessern. Mit dem angenehmen Nebeneffekt, dass dabei etwas Gutes für Mensch und Umwelt getan wird. Oder andersrum gesagt: Soziale und ökologische Nachhaltigkeit können nie die primären Ziele unternehmerischen Handelns sein. Sie lassen sich nur zweitrangig verwirklichen, indem sie der Förderung der ökonomischen Nachhaltigkeit dienen. Denn wenn das Geschäft nicht läuft, läuft gar nichts. Das kann man so sehen. Andere Ansätze sagen aber beispielsweise auch: Wenn die Umwelt zerstört ist, läuft gar nichts. Oder: Wenn die Gesellschaft in der Krise ist, läuft gar nichts. Auch das Geschäft nicht.

Wenn die Gesellschaft in der Krise ist, läuft gar nichts. Auch das Geschäft nicht.

In der Welt des Kaffees läuft gegenwärtig eine Debatte um das „richtige“ Verständnis von Nachhaltigkeit. Die Weltmarktpreise von Kaffee sind traditionell so tief, dass die Produzenten und Produzentinnen kaum davon leben können. Nicht zufällig war Kaffee das erste Produkt, das mit dem Fairtrade-Label der Max Havelaar-Stiftung auf den Markt kam. Die Wirkung von Fairtrade-Labels ist seither auch wissenschaftlich untersucht und kritisch beleuchtet worden. Die Kritik an Fairtrade-Labels in der Kaffeeproduktion hat in den letzten Jahren wieder neuen Schub erhalten. Mit dem Boom kleiner Spezialitätenröstereien hat der Direkthandel an Bedeutung gewonnen, wie ihn z.B. Coffee Circle betreibt. Auf der Suche nach den besten Kaffees der Welt vertrauen Rösterinnen und Röster nicht mehr den etablierten Importfirmen, sondern sie besuchen die Kaffeeregionen persönlich. Dort schliessen sie individuelle Verträge mit Kooperativen oder einzelnen Farmen ab. Nebst Exklusivität des Kaffees lässt sich damit auch ein Geschäft ohne Zwischenhandel garantieren. Dies sorgt allseits für mehr Transparenz und sichert den Produzentinnen und Produzenten bessere Preise für ihren Rohkaffee. Spezialitätenröstereien betonen gerne, dass sie den Farmen ein mehrfaches der Fairtradepreise bezahlen und üben mehr oder weniger unverblümte Kritik an den Labels, die nebst hohem Verwaltungsaufwand auch noch qualitativ schlechten Kaffee hätten, weil gute Qualität (gemeint ist hier die Bohnenqualität) kein Kriterium für die Zertifizierung sei.

Überspitzt gesagt müsste auch der schlechteste Kaffee auf Erden einen besseren Preis erzielen, als dies derzeit der Fall ist.

Tatsächlich ist Spitzenqualität das oberste Gebot im Direkthandel: Nur die besten Kaffees werden auserwählt, und dafür gibt’s einen entsprechend guten Preis. Nicht klar ist mir allerdings bisher, welchen Aufwand Farmen für die Spitzenqualität betreiben müssen, welchen Anteil ihres finanziellen Ertrags sie wieder in den Anbau investieren müssen. Was bleibt unter dem Strich für ihre Existenz? Und eine andere Frage stellt sich mir: Sind grundsätzlich alle Farmen in der Lage, Spitzenkaffee zu produzieren, wenn sie sich denn nur genug anstrengen? Hängt das nicht wesentlich von der Lage, den Böden, dem Klima ab? Mir scheint, die Chancen, von den fairen Konditionen des Direkthandels zu profitieren, sind sehr ungleich verteilt. Bei Max Havelaar gibt’s immerhin auch für einen guten Durchschnittskaffee noch einen Mindestpreis, wie tief der auch sein mag. Im Direkthandel hat dieser Kaffee keine Chance. Der Label-Kaffee gibt hier der sozialen Nachhaltigkeit klar den Vorrang. Zu Recht aus meiner Sicht: Die Weltmarktpreise für Kaffee sind generell zu tief, ganz unabhängig von der gebotenen Bohnenqualität. Überspitzt gesagt müsste auch der schlechteste Kaffee auf Erden einen besseren Preis erzielen, als dies derzeit der Fall ist.

Mit der einseitigen Qualitätsbesessenheit des Direkthandels tue ich mich schwer.

Wenigstens anerkennen auch Vertretende des Direkthandels bisweilen, dass sie ohne die Pionierinnen und Pioniere von Fairtrade nicht auf eine gewisse Sensibilität der Kundschaft für gerechte und damit höhere Preise zählen könnten. Und als begeisterter Röster und Barista teile ich natürlich ihre Mission, das Qualitätsniveau und die Wertschätzung des Kaffees anzuheben (wobei meist der Wein als Vergleichsobjekt herhalten muss). Der Direkthandel macht aus meiner Sicht vieles richtig. Er begegnet dem traditionell mangelhaften Informationstransfer entlang der Handelskette mit offensiver Transparenz. Er würdigt den Kaffee als einzigartiges Produkt. Er bringt den Farmerinnen und Farmern Wertschätzung entgegen, indem er ihnen ein Gesicht gibt – und faire Preise. Mit der einseitigen Qualitätsbesessenheit des Direkthandels tue ich mich allerdings schwer. Schliesslich kaufe ich gewöhnlich auch keine Spitzenweine, denn für mein alltägliches Geschmacksempfinden tut es ein solider Mittelklassewein. Dafür lege ich gerne etwas drauf, wenn er biologisch angebaut ist. Ebenso geht es mir beim Kaffee. Ich investiere eher in ökologische und soziale Nachhaltigkeit als in den ultimativen Geschmacksunterschied. Damit bin ich ein Konsument, den es im Weltbild von Unternehmen wie Coffee Circle gar nicht geben sollte. Denn offenbar sind die Leute nur bereit, mehr zu bezahlen, wenn der Kaffee auch besser schmeckt, sie also einen direkten ökonomischen Gegenwert dafür haben. Eine alternative Auslegung des Begriffs „Qualität“ jenseits dieses Mehrwerts wird der Kundschaft anscheinend nicht zugetraut: „Die Welt schenkt einem nichts.“ Das mag sein – aber einige Menschen investieren manchmal in andere Gegenwerte.

Ich investiere eher in ökologische und soziale Nachhaltigkeit als in den ultimativen Geschmacksunterschied.

Es erstaunt mich kaum, dass die Gründer von Coffee Circle mit ihrem betriebswirtschaftlichen Hintergrund auf eine wirtschafts-zentrierte Perspektive setzen. Das Unternehmen baut ja auch auf Venture Capital und ist damit klar wachstums- und gewinnorientiert. Investitionen in Umwelt und Gesellschaft zahlen sich oft erst mittel- bis langfristig und nur indirekt aus. Wenn die ökonomische Perspektive nicht ebenso langfristig und ganzheitlich angelegt ist, haben sie einen schweren Stand. Ich persönlich bin aber durchaus bereit, für fairen Handel und ökologischen Anbau allein einen höheren Preis zu bezahlen. Denn meinen Qualitätsanspruch beziehe ich nicht bloss auf das Produkt selbst, sondern auch auf seine Herkunft. Und damit bin ich bei Weitem nicht allein.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s