„Das ist jetzt unser Kaffee.“

Die Wirkung der Kaffeepause als Methode der Organisationsentwicklung ist bemerkenswert und birgt viel Entwicklungspotenzial. Dies zeigt das Beispiel eines kleinen Berner KMU, wo Mast 31 diesen Frühling einen Workshop durchführte. Der Workshop war eingebettet in das Format Café Crème, eines meiner Kaffeepause-Angebote. Das heisst, dass ich zuvor getrennte Vorgespräche mit der Geschäftsleitung und den Mitarbeitenden geführt und diese ausgewertet hatte. Im Fokus der Analyse standen Ressourcen sowie aktuelle und künftige Herausforderungen des Unternehmens in der betrieblichen Kultur. Im Workshop stellte ich die Ergebnisse vor und moderierte den Austausch und die Diskussion des Teams auf der Suche nach neuen Wegen. Im Anschluss an den Workshop führte ich wiederum getrennte Nachbereitungsgespräche.

Der Verlauf des Workshops orientierte sich am Röstprofil einer Kaffeeröstung. Mittendrin, in einer der entscheidenden Röstphasen, stellte sich den Teilnehmenden folgende Aufgabe: Sie sollten gemeinsam Kaffee zubereiten. Zwar stellte ich Materialien bereit, die dazu nötig oder nützlich sind, etwa Kaffee, Wasserkocher, Handmühle, Waage, Stempelkanne; doch gab ich keinerlei Instruktionen, wie der Kaffee zuzubereiten sei. Das überliess ich voll und ganz den Teilnehmenden. (Nur in ganz wenigen Fällen erlaubte ich mir dann doch einen kleinen Hinweis oder antwortete auf eine Frage.)

Erstaunlich ist, welche Energie das Kaffeemachen unter den Teilnehmenden frei setzte. Es war für sie alle Neuland, und sie machten sich mit fast schon kindlicher Neugier und Begeisterung ans Werk. Als langjähriger Kaffee-Aficionado war ich überrascht, wie die Teilnehmenden ihr individuelles Wissen verhandelten, kreative Strategien entwarfen und den Kaffee schliesslich auf eine Art und Weise zubereiteten, auf die ich im Traum nicht gekommen wäre. Ich konnte nur noch staunen – und lernen. Es ist genau diese Einzigartigkeit, welche die Kaffeepause auszeichnet: Aus einem für viele unspektakulären Alltagsprodukt wird eine Teamerfahrung, die unverkennbar den Stempel der Organisation trägt. Im besten Sinne ressourcenorientiert also, und der in der Beratungswelt oft floskelhaft angeführte „gegenseitige Lernprozess“ kam dabei voll zum Tragen. Ich hatte bloss das Rohmaterial geliefert, das Knowhow kam aus der Gruppe. Nur ganz zum Schluss, als es um das Aufgiessen des Kaffees ging, kam jemand auf die Idee, auf Youtube nach einer Anleitung zu suchen. Von da an war die Sache gelaufen: Kreativität null, alle Blicke auf dem Smartphone.

Die Kaffeepause bereitete nicht bloss allen Beteiligten Spass, sie offenbarte ihnen auch die Dynamiken der Zusammenarbeit. Denn die Gruppe musste sich in einer unvertrauten Ausgangslage neu zurechtfinden und konnte sich nicht auf alltägliche Routinen berufen. Alle Teilnehmenden hatten ungefähr den gleichen Wissensstand. Dabei zeigte sich etwa, wie sie Wissen einbringen und verhandeln, welche Rollen sie einnehmen, wie sie kommunizieren, wer Entscheidungen trifft, und wo dabei die grossen Stärken des Teams liegen. Vieles davon ist im regulären Arbeitsalltag nicht so deutlich wahrnehmbar. Erfrischt und bestärkt in der Teamidentität konnten sich die Teilnehmenden anschliessend wieder ihren Herausforderungen zuwenden.

Sie kam dann doch noch, die ominöse Frage: „Haben wir den Kaffee so jetzt richtig zubereitet?“ Heute würde ich mit einer Gegenfrage antworten: Schmeckt er denn? Genau darum geht es nämlich – und das sagte ich dann auch der Gruppe –, viele Arten der Zubereitung können gut sein, und Kaffee ist für mich zu einem beträchtlichen Teil auch Geschmacksache. Vielfalt und Individualität sind entscheidende Faktoren bei der Definition von gutem Kaffee. Eine bessere Analogie zur Frage nach der „richtigen“ Gestaltung der Unternehmenskultur hätte mir nicht passieren können. „Das ist jetzt unser Kaffee“ sagte jemand aus der Runde und blickte zufrieden in den Kaffeebecher.

 

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